An einem Runden Tisch wird derzeit die Zukunft des Dong Xuan Centers diskutiert.
Vietnamesische Gemeinschaft in Lichtenberg
„Menschen vietnamesischer Abstammung sind eine kleinlaute Community“, sagt Nguyen Viet Duc vom Vorstand der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg. Kleinlaut im Sinne von leise, zurückhaltend, eben unauffällig. Und es stimmt, die Integrationsgeschichte der vietnamesischen Gemeinschaft in Lichtenberg ist lange Zeit abseits der Öffentlichkeit vorangeschritten. Das ändert sich und das ist ganz im Sinne von Nguyen und der Vereinigung, der er vorsteht.
Zu DDR-Zeiten kamen viele Menschen aus Vietnam als Vertragsarbeiter:innen nach Berlin und ein Großteil blieb nach der Wiedervereinigung, wo er angekommen war: Im Ostteil der Stadt. In Lichtenberg leben inzwischen mehr als 10.000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln und ihre Namen und Geschäfte sind heute ein selbstverständlicher Teil im Lichtenberger Stadtbild.
Das Dong Xuan Center: Mehr als nur Großhandel
Bekannt auch über Berlins Landesgrenzen hinaus ist beispielsweise das Dong Xuan Center (DXC) – der größte Asiamarkt der Stadt und beliebt bei Einheimischen wie Touristen. „Dong Xuan“ bedeutet aus dem Vietnamesischen übersetzt „Frühlingswiese“, was einem nicht unbedingt als erstes Schlagwort in den Sinn kommt, wenn man vor den großen Lagerhallen im Industriegebiet steht.
In den Hallen reihen sich Textilien, Lederwaren, Technik und Schmuck an vietnamesische Gastronomie und Dienstleistungen von Nagelstudios über Reisebüros bis hin zu Fahrschulen. Das Center stellt einen Treffpunkt für die vietnamesische Gemeinde dar, an dem Feste gefeiert und vietnamesische Traditionen und Kultur aufrechterhalten werden – und an dem Begegnung stattfindet.
Ursprünglich war das DXC ausschließlich ein Großhandelsbetrieb. Die vielen vietnamesischen Dienstleistungsangebote, die sich nach und nach dort angesiedelt haben und auch Privatpersonen in großer Zahl auf das Gelände locken, sorgen für einige rechtliche Unstimmigkeiten.
Unsichere Zukunft des Centers
Kevin Hönicke, Lichtenbergs Baustadtrat von der SPD, bedauert, dass hier über die Jahre weggeschaut wurde. Das DXC in seinem heutigen Betrieb nehme sich einfach Sonderrechte heraus, die andere nicht hätten. So hätte das Center beispielsweise ohne Genehmigung auch sonntags geöffnet. Auch die extrem günstigen Preise in den Friseur-Salons seien auffällig. Dies könne nur zu Lasten der arbeitenden Menschen dort gehen – hauptsächlich Frauen –, was aber bisher niemand überprüfe.
Hönicke liegt viel daran, hier zu einvernehmlichen Besserungen und rechtlicher Klarheit zu kommen. Derzeit gibt es einen Runden Tisch, zu dem das Bezirksamt Vertreter des DXC und auch die Vereinigung der Vietnamesen eingeladen hat. Das Bezirksamt möchte über Bebauungspläne klären, dass sich kleinen Dienstleistungsgewerbe direkt an der Straße niederlassen können – dann mit offizieller Genehmigung und in der Hoffnung, dass sich auch die Arbeitszustände besser kontrollieren lassen.
Damit würde aber der Geist und kulturelle Wert des Centers verloren gehen, so Nguyen. Auch fürchtet er um die Kundschaft der Dienstleistungsanbietenden, die einen Standortwechsel nicht unbedingt mitmache. Gemeinsam ist allen Parteien am Runden Tisch, dass sie Rechtssicherheit für das DXC herstellen wollen. Drei Mal hat der Runde Tisch bisher getagt. Ende August soll der Abschlussbericht verfasst werden.
Was bedeutet Integration?
Integration darf nicht bedeuten, Herkunft vergessen zu müssen. Vielleicht bedeutet Integration zuallererst, sich im Alltag zurechtfinden zu können. Menschen mit vietnamesischen Wurzeln können hier verschiedene Unterstützungsangebote finden: Die Vereinigung der Vietnamesen in Berlin-Brandenburg e.V. – unter anderem gefördert durch das Bezirksamt Lichtenberg – hilft beispielsweise bei der Übersetzung amtlicher Dokumente.
In einem zweiten Schritt könnte Integration darin bestehen, sich im Alltag auch wohl zu fühlen. Hier kommt unter anderem dem DXC eine zentrale Rolle zu, das als Begegnungsstätte für die vietnamesische Gemeinschaft aber auch als „Gastgeberin“ für Tourist:innen, neugierige Einheimische und Stammkundschaft fungiert.
Ein dritter Schritt von Integration könnte bedeuten, den Alltag nach eigenen Vorstellungen mitzugestalten. Im Falle vom Dong Xuan Center bedeutet das auch die Auseinandersetzung mit Bebauungsrecht, Behörden, Vorschriften.
Dass das Areal, auf dem das DXC steht, nun auch politische Beachtung findet, dass darüber diskutiert wird, wie es hier weitergeht mit dem Ziel, Rechtssicherheit anstatt einer geduldeten Sonderrolle zu erreichen, das sei eine positive Entwicklung, so Nguyen. Und im Sinne des dritten Integrationsschrittes hat diese Entwicklung das Potential, die „kleinlaute“ vietnamesische Community zu politisieren.
Autorin: Juliane Simon, Abteilung SPD Alt-Lichtenberg
Ein Artikel aus dem aktuellen Stadtblatt vom August 2021